Einführende Worte zur Vernissage

Einführende Worte zur Vernissage „Karin Bach – Bilder, Zeichnungen, Graphik“ am 9. November, HKV-Raum im Künstlerhaus

 

Die Zeiten, da Kunstwerke für sich selber sprachen, sind vorbei. Nach dem Big Bang in der Kunstgeschichte, der um 1900 die bis dahin herrschenden Kunsttendenzen explosionsartig auseinandertrieb, scheint es unabdingbar, die Werke der Künstler standortmäßig zu bestimmen und so erst dem Verständnis des Publikums zuzuführen.

Das ist damals geschehen? Kunstwerke transportierten nicht nur Realität, sie nehmen auch zu ihr Stellung. Diese Stellungnahme kann aber in vierfacher, grundsätzlich verschiedener Weise erfolgen: als idealisierende Überhöhung, als reduzierende Elementarisierung, als intensivierende Steigerung vor allem des Kraftpotenzials und als symbolisierende Reflexionsleistung. Von der Renaissance bis zum Impressionismus, das ist nun meine Meinung, wurden diese Tendenzen von allen Kunstrichtungen und Schulen nur akzentuierend verwandt, nicht zum ausschließlichen Credo erhoben. Seitdem aber gehen Formalisten, Abstrakte, Expressive und Symbolisten getrennte Wege.

Noch etwas Schlimmeres geschah: Wo der Mangel der jeweils unterdrückten Tendenzen gespürt wurde, behob man ihn nicht, sondern träumte stattdessen vom Gesamtkunstwerk, diesem Königsweg zum Kitsch. Sein Abfeiern erleben wir derzeit in Video-Clips und Multi-Media-shows. Aber auch Rückwirkungen dieser Auffassung auf die Malerei selbst lassen sich feststellen. Seit dem Dadaismus sind ja Grenzüberschreitungen zwischen den Künstlern beliebt und haben innerhalb der bildenden Kunst zu Happening, Performance, Installation,zu ganzen Landschaftsinstallationen (Land-art des Timm Ullrich, Christo), ja neuerdings zur Einbeziehung von Piktogrammatischem (Konzept-Art, Graffiti, A.R. Penk) geführt. Man will unbedingt etwas aussagen, getraut sich aber nicht sich einzugestehen, dass dafür die Sprache das geeignetere Mittel wäre.

Zu alledem freudig skandiert das Wort von der Freiheit der Kunst. Doch das spricht nicht von der Willkürfreiheit der Künstler, sondern, wie jeder nicht Fachfremde weiß, davon, dass Kunst ausschließlich ihren eigenen Gesetzen zu gehorchen hat und sich jeder Einrede von außen verbitten darf. Dies verpflichtet aber die Künstler, sich der Gesetze der Kunst bewusst zu werden, nach ihm zu fahnden, um sie zu erfüllen.

Eines dieser Gesetze scheint mir zu sein, dass Kunst sich der Anschaulichkeit, der Sinnlichkeit, der Wahrnehmbarkeit zu befleißigen habe. Gemalt werden soll, was gemalt werden kann. Begriffe, Sentenzen, Ideologeme aber können mit Sicherheit nicht gemalt werden.

In den Bildern Karin Bachs haben wir nun die Werke einer Künstlerin vor uns, die sich von den genannten, z.T. grotesken Aberationen fernzuhalten weiß, indem sie konsequent dem spezifisch malerischen Ansatz treu bleibt, nur malen zu wollen, was auch zu malen ist. Leider müssen wir an dieser Stelle doch noch einen minimalen Schlenker ins Kunsttheoretische machen, weil sonst nicht deutlich werden kann, worin das so grundsätzlich Richtige dieser Malerei liegt.

Gemälde waren schon immer die Projektionsflächen für unsere tiefsten, unterschwelligsten Sehnsüchte. Das wird meist zu platt aufgefasst. Der Lebensinstinkt, der da unter der Bewusstseinsschwelle rumort, ist blind und kann daher weder Bestimmtes noch auch verbreitet Erstrebtes wie Reichtum Erfolg, Genuss o. ä. meinen, nicht einmal Erotik oder Sexus , obwohl sein Expansions- und Erfüllungsdrang sehr viel mit unserer Libido zu tun hat. Der Lebenswille in uns ist aber nur inhaltlich blind, nicht, was seine Orientierung im Raum – um bei der Raumkunst zu bleiben – betrifft. Er strebt zur Erfüllung dieser Sphäre, und so zeigt sich denn das künstlerische Ringen um die Form letztendlich als der Erfüllungsversuch des Bewegungsdranges in uns, sich im Raum vollgültig zu entfalten. Bildwelten sind „gefrorene Bewegungswelten, die, um vollzogen werden zu können, vom Betrachter in ihre Bewegungs-tendenzen erlöst werden müssen. Da zeigt sich dann schnell, dass der Oberbegriff Form in eine Vielzahl von Sinnesfunktionen zerfällt wie Größensinn, Richtungsinn, Tiefensinn, Seitensinn, Oben-unten-Sinn, Ponderationssinn, Aktiv-Passiv-Sinn. Ich bitte das für diesmal so unerklärt hinzunehmen. Natürlich sind diese Sinne nur Teilfunktionen des einen einzigen Bewegungs-ja Lebenssinnes in uns. Soviel ist immerhin klar: In dem Maße, als die Elementartendenzen vom Künstler ins Spiel gebracht und von uns mit vollzogen werden, empfinden wir Bilder als schön, denn Schönheit ist nichts anderes als das Bewusstsein der Befriedigung unseres tiefen Lebensinstinktes.

Aber Bilder zeigen die Welt doch von Licht übergossen, die Gegenstände klar konturiert, die Form von scheinbar ewig haltender Solidität. Wie ist das damit zu vereinbaren, dass unser Lebensinstinkt lautere Dynamität sein soll und sich vor allem von ihrer Erfüllung erfreut zeigen soll? Es ist, zu vereinbaren, wenn wir zusätzlich annehmen, dass dieser Lebensinstinkt zum Licht, zur Farbe, zur Sichtbarkeit, zu Vorstellung , Darstellung, Plastizität auch will. „Welcher Lebendige, Sinnbegabte, liebt nicht vor allem Wundererscheinungen des verbreiteten Raumes um ihn, das allerfreuliche Licht“, dichtete Novalis. Wie wahr, und so treten denn zu den elementaren Bewegungssinnen die Sinne der Helligkeitsstufen , der Farblichkeit und der Farbharmonie.

Dass Form und Farbe im Kunstwerk nicht unvermittelt aufeinandertreffen, lässt sich denken, und so kommt es, dass Künstler das Elementare als elementar, die gegenständliche Form aber als aus dem Elementaren erwachsend, daraus sich allererst aufbauend darstellen.

Und nun betrachten Sie die Bilder Karin Bachs, wie sie die Farbe nicht abstrakt, nicht zur reinen Farbe idealisiert, nicht künstlich und gleichermaßen kalt behandelt, sondern organisch aus ihren Mischungen entstehen lässt. Dass das Vermischte, Diffusere das ursprünglichere sein soll, erscheint uns nur paradox, weil wir, von der Mathematik kommend, meinen, alles müsse aus einfachen Elementen aufgebaut sein wie eine Zahlenreihe. Ganz im Gegenteil ist aber in der Natur das Synthetische das Ursprüngliche, und das Einfache entsteht durch Abstraktion, Reduktion, Analyse, was letztlich Stillstand und Erstarrung bedeutet.

Auch was das Hell-Dunkel betrifft, so arbeitet Karin Bach mit kleinsten Übergängen, statt zur Extreme zu gehen. Dieser sanftere, leisere Weg der kontinuierlichen Übergänge ist aber auch der Weg der Natur, und nur hoffnungslos verstädterte Menschen können einen Wald als langweilig empfinden, weil er so reiz arm an Farbsensationen ist.

Den Größensinn weiß Karin Bach aufs entschiedenste zu beleben. Das gelingt besonders in dem Bild, da die Blattform als Großform einmal alles weitere dominiert, dann aber vielfältig wiederkehrt als kleinere Form in der Großform und hinter dieser, d.h. durch sie hindurch, abermals verkleinert erscheint.

Entsprechendes gilt für den Gestaltsinn. Er wird belebt durch Variationen einer Vergleichsform. Diese ist, um im gleichen Beispiel zu bleiben, die Blattform. Sie kommt nicht zweimal als annähernd gleich vor, sondern jedesmal anders individuiert: mal achsensymmetrisch einfacher, mal sinusartig geschwungener, die Schwingung mal ausladender, mal länglich schmaler, die Schwingungen mal stärker, mal weniger gegeneinander versetzt etc.

Auch der Tiefensinn wird auf raffiniert einfache Weise mithilfe von Durchblicken durch Negativblätter, also Blattlöcher in Blattform, auf ein dahinterliegendes Blatt, das­ seinerseits solche Durchlässe des Sehens erlaubt, dialektisch verspielt angeregt.

Ebenso der kulturell erworbene Richtungssinn, bei uns Normal-Europäern der Neuzeit zum Ablesen von links nach rechts programmiert. Wir lesen im noch einmal bemühten Beispiel gleichsam die Genese des Blattes in der für uns gewohnten Richtung. Diese Richtungstendenz wird unterstützt durch das Dunkel der Blattwurzel und die Helle der Blattspitze. Warum aber lesen wir Dunkel als Anfang und Helligkeit/Licht als Ende, Ziel oder Telos? Vermutlich,

weil wir Wachstumsprozesse als solche des Verlassens der dunklen Erde und des Aufstiegs zum Licht hin kennen. Auch hier bleibt Karin Bach ganz im Kontext natürlich-elementarer Lebensprozesse.

Beim Blick auf den Seitensinn machen wir eine die Künstlerin uns noch sympathischer erscheinen lassende Beobachtung. Sie präsentiert uns ihre linke Seite, wo das Herz schlägt, als die wärmere. Achten Sie einmal darauf, wie oft im linken Bildteil ein gelbes Lichtzentrum liegt, während die rechte Seite in der Regel in kälteren Farben gehalten ist.

Sehr ausgeprägt die Oben-Unten-Korrelation, zumeist durch einen deutlichen Aufstieg vom dunkleren Unten zum klareren, helleren Oben markiert.

Eine sehr schöne Realisation des Ponderationssinnes bietet das mehrfach benutzte Beispiel der Blattkomposition. Vergegenständlicht Karin Bach das Lasten, die Schwerkraft zumeist durch Steine, Kugeln oder schwere Körper im unteren Bildteil, so bildet hier die Wölbung des Blattes gleichsam eine ruhende Schale, in der der Inhalt schwebt, denn es liegt eine Art Watteschicht zwischen Inhalt und Schalengrund und suggeriert Weichheit und Wohligkeit des Lastens.

Man darf sich die Aktivität unseres Bewegungssinnes nicht einfach nur als positive, gerichtete, gleichsam expandierende Kraftentfaltung vorstellen. Unser Bewegungssinn kennt auch die Inversion. Bei der bloß im Raum gerichteten Bewegung wird das nicht deutlich, denn eine Gegenrichtung

Ist nur eine andere Richtung, nicht die Zurücknahme der ursprünglichen Richtung. Dies ist bei expandierenden Formtendenzen anders. Hier gibt es Explosion und Implosion. Dasselbe gilt für die Konvex-und Konkavformen, indem die Konkavform als reelles Widerspiel der Konvexform erscheint. Und Spiralen haben die für Künstler so interessante Eigenschaft, den Betrachter darüber im Zweifel zu lassen, ob sie eigentlich von innen nach außen oder umgekehrt verlaufen. Achten Sie einmal auf das vielfältige Spiel, dass Karin Bach, auch wo es auf den ersten Blick nicht ersichtlich ist, damit treibt.

Schließlich ist der Aktiv-Passiv-Sinn noch in anderer Weise bei der Bildbetrachtung in Funktion. Ein Bild, wenn es uns schön erscheinen soll, muss uns doch binden und dabei doch auch als frei erscheinen lassen. Die Art der geistigen Gefangennahme muss uns wie ein sanftes Geführtwerden, ein bloßes Kontakthalten vorkommen, nicht wie eine Vereinnahmung oder gar Überwältigung. Diese Intätigkeitsetzung des Kontaktsinnes scheint mir nun in den Bildern Karin Bachs ganz vorzugsweise Ereignis zu werden. Nahezu alle Möglichkeiten, das Sehen in jener angenehm-zartsinnig-feinen Weise des gleichsam Streichelns zu beeinflussen, scheinen mir ergriffen zu sein: die hohe, aber ebenso stark gebundene Reizfülle der Farbpigmentierung, das „Pulsieren“ der Schneckenformwindungen. , der Gegensatz von Konvex-und Konkavform in Rohr- oder Halmwand, die Strahlungen, die auch als Sogformen lesbar sind – all das lässt uns in gerade nur jener zarten oder, wenn stärkeren, dann ausgewogenen entgegengesetzten Weise berührt sein, dass wir uns insgesamt in einem Schwebe-und Freiheitszustand zu den Bildern zu befinden glauben. Der Kontaktsinn, der m. E. der Schönheitssinn par excellence ist, findet also in bestmöglichem Maße Befriedigung.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen solche in der Spannung zwischen Faszination und Befreiung haltende Kontakte mit der Bildwelt Karin Bachs.

 

Dr. Peter Struck, Senior

 

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.