Hannsferdinand Döbler

KARIN BACH, Betrachtungen über Kunst

Wir wissen, was wir tun, wir Vernünftigen: wir haben Ziele und berechnen Wirkungen,wir sind keine Kinder mehr. Ein Kind, wenn es Kind ist, weiß nicht, was es tut: es wirft einen Stein ins Wasser, und wie dann das welke Blatt auf der Wasserfläche zu tanzen anfängt, kümmert das Kind nicht, das Kind ist bedenkenlos, sein Tun verliert sich im Unberechenbaren – dorthin, wo Alles herkommt, nur daß wir Vernünftigen das kaum mehr wahrnehmen können – und dürfen..

Wer Bilder auf viereckige Leinwände malt, wird Künstler genannt – weiß er, was er tut? Was bringt eine erwachsene Frau dazu, ihre Zeit mit Malen zu verbringen? Für das, was sie hervorbringt, zahlt sie, die Künstlerin, mit dem kostbarsten Gut, das wir haben, mit Zeit – nur wenn wir sie verschwenden und aufhören, sie verrechnen zu wollen, schenkt sie sich uns.

Bilder sind geronnene Zeit, auch Plastiken, auch Bauwerke, und noch wo sie gänzlich zwecklos sind, wirken sie und bewegen uns im Inneren wie Wellenringe.

Was aber bewegt den Menschen, Bilder im weitesten Sinne zu schaffen? Ehrgeiz? Der hat kurze Beine und ermüdet schnell. Eitelkeit? Davon sind sie weit entfernt: das Lächeln der Gioconda oder das Kornfeld eines van Gogh sind mit Schmerz und Trauer getränkt, die Zypressen von Max Ernst oder Picassos "Weinende" sind jenseits jeder Ichsucht angesiedelt – nein, es gibt keine vernünftigen Gründe für das, was wir Kunst nennen, wir reden nicht vom Markt und nicht von Investitionen, wir reden von unserem Dasein.

Ironisch gesehen: ein Wesen von lächerlicher Vergänglichkeit produziert etwas, das er für wertvoller hält als die Zeit, die er dafür aufwendet und in dem eine Hoffnung steckt, die Hoffnung auf Unvergänglichkeit – eine lächerliche und großartige Hoffnung, so lächerlich, wie wir Menschen nun einmal sind. Erstaunlich ist die große Mühe, die hier aufgewendet wird – da ist ja nichts einfach nur so hingesetzt, wie es gerade kommt. Da ist, und ich spreche jetzt von Karin Bach, aus einem Einfall, aus einem Motiv eine Form entwickelt — oder aus einer Form ein Motiv entstanden — das ist nicht nur gemacht, sondern gedacht.

Nun ist es aber so, daß jede Künstlerin wie jeder Künstler (wenn ich der Einfachheit halber dieses unsäglich verbrauchte Wort weiterhin gebrauchen darf), nun ist es so, daß solche Menschen nicht wissen, was sie tun. Es gibt eine Intension, eine Absicht – aber das Ergebnis reicht weit über das Gedachte hinaus, und dies ist das eigentliche, das spannende Geheimnis der Kunst.

Menschen kommen nicht – mehr vor. In der klassischen Moderne von Braque bis Picasso, von Macke bis Max Ernst immerhin noch figurativ, als Thema – und Menschen galten doch seit Urzeiten, von den Ägyptern über die Griechen bis ins Mittelalter, bis in die Renaissance als zentrales Motiv.

Je mehr von Menschenrechten gesprochen wird, je unmenschlicher die Zeiten werden, umso ungreifbarer scheint dieses Thema der Kunst zu werden: es ist, als ob ein verdrängtes Entsetzen die Wahrnehmung blockiere. Auch Karin Bach malt Menschen nicht, weder einzeln noch als Masse, als Schatten: ihre Thematik bildet sich an anderen Herausforderungen – an welchen?

Was ist zu sehen? Keine Menschen mehr, auch nicht aufgelöst und aus mehreren Perspektiven zusammengesetzt, keine Kopffüßler, keine Figuren, Gegenstände, Inszenierungen des Raumes, des Lichts, nicht einmal der Farbe, wie bei den Monochromen – was ist zu sehen in diesen Bildern, das gestaltete Nichts? Ein Widerspruch in sich selbst. Farbiges scheint unendlich verfeinert, bis nahe an die Grenze der Auflösung, eine Leere wie ein Nirwana, die nicht leer ist, eine unglaublich angefüllte Fläche, inder es eine Bewgung gegeben zu haben scheint vor Millionen von Jahren – oder noch gibt, wer weiß? Ein Teppich, der kein Teppich ist, eine Menschenmasse aus großer Höhe, etwas Starres und doch Bewegtes, steingrau dem flüchtigen Blick und doch voller Nuancen, die nicht jedes Auge wahrnimmt?

Und was bedeutet das, werden Sie fragen, wenn es denn eine Bedeutung hat? Ist hier eine Energie manifest, die sich wie aus trotz allem verweigert? Und wo reicht sie über sich hinaus – bis in Unmenschliches einer Oberfläche, die sich selbst genug ist? Vielleicht ist es eine Ratlosigkeit, die hier am Werk ist und gerade deshalb etwas über uns sagt, wer weiß?

Sie werden ihr begegnen, wenn Sie die Bilder als Anlaß zur Meditation nehmen, sie werden alles Gedachte und Gewußte hinter sich lassen müssen, und vielleicht erfühlen Sie in diesen Bildern etwas, was Sie noch nie gesehen haben. Aber nichts ist da sicher, auch das nicht. Denn einige Bilder sind mit dieser Interpretation nicht zu fassen, da ahnt, da sieht man pflanzliche Struktur und schließlich sogar ein Antlitz – nichts ist sicher. Schauen Sie selbst.

Hannsferdinand Döbler, 30. Juni 2001

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